Zum Abschied im August habe ich
am Flughafen von meiner Mama ein kleines Ledersäckchen bekommen.
Darin war ein Zettel und ein Stein. Auf dem Zettel stand, dass sie
immer für mich da ist. Heute habe ich dieses Säckchen nach einem
Monat wieder in der Hand gehalten. Zum Einen, weil ich Sehnsucht nach
zu Hause habe, zum Anderen, weil sie mir damit das größte Geschenk
überhaupt gemacht hat. Was kann ein Mensch mehr tun, als für einen
Anderen da zu sein, egal was passiert. 8000 Km von zu Hause, kann man
sich schon mal alleine fühlen. Aber es beruhigt sehr zu wissen, dass
ich einen Menschen habe, der immer für mich da ist.
Warum ich das hier so
brauche? Egal wie toll die Menschen sind mit denen ich hier lebe,
keiner kann meine Eltern ersetzen! Meine Freunde und Freundinnen aus
Deutschland sehe ich heute in mancher Hinsicht auch mit anderen,
neuen Augen, jetzt, da ich schon für längere Zeit von ihnen
getrennt bin. Da wären meine Mädels, mit denen ich mich stundenlang
unterhalten kann. Über Jungs oder die neuste Mode, über die Schule
oder den neusten (attraktiven) Mitschüler, über die Liebe und den
damit manchmal verbundenen Schmerz. Es gab Tage, an denen wir einfach
nur zusammen geweint haben. Telefonate, in denen nur gestritten
wurde. Aber trotzdem sind wir für einander eingestanden, wenn es
drauf an kam. Das alles ist nichts Neues. Warum ich es dennoch hier
formuliere, zeigt wie wichtig mir genau diese Menschen sind.
Es gibt auch Jungs/Männer die
echte Freunde sind. Manchmal ersparen sie einem das „Rumgezicke“
oder das unnötige Ausdiskutieren. Sie sind die Schulter zum
Anlehnen, oder brauchen hin und wieder die weibliche Intuition, die
ihnen hilft zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Manchmal
war ich nicht dankbar genug, für die vielen tollen Menschen um mich
herum. Aus der Distanz lerne ich es zu schätzen!
Die meisten dieser Menschen
habe ich in den letzten neun Jahren kennen gelernt. Viele davon in
der Schule..
Wenn ich an die vielen,
durchaus nicht immer erfreulichen, Schuljahre im Kepler zurückdenke,
kann ich kaum glauben, dass ich heute manchmal die Schule wirklich
vermisse. Mit dem Ende der Schulzeit ist ein wichtiger
Lebensabschnitt zu Ende, eine Etappe die in ihrer Kontinuität Halt
gab. Und natürlich fehlen mir heute die viele Kontakte und die
wunderbaren Pausengespräche oder Zettelchen im Unterricht.
An den Tag meiner
Einschulung erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Wir
wurden alle namentlich auf die Bühne gerufen, Klasse für Klasse.
Die Bühne war ohne Treppe, aber etwas erhöht. Einige fielen bei
einem gekonnten Sprung nach oben hin, andere mussten sich auf Grund
ihrer Größe helfen lassen und ich blamierte mich erst, als ich oben
war. Das behalte ich jetzt für mich!
In unserer Klasse
angekommen stellte ich fest, dass ich den gleichen Schulranzen wie
eine Mitschülerin hatte und das machte sie sofort sympathisch!
Wie schnell die Zeit
vergeht hat durchaus etwas Angsteinflößendes. Gerade noch in der 5.
Klasse und schon im fernen Sibirien Da ich noch nicht genau weiß,
wie es ausbildungsmäßig weitergehen wird, freue ich mich, wenn ich
dafür eine Perspektive habe, auf die ich hin arbeiten kann. Wenn ich
sicher weiß, wie es weiter geht.
Zur Sowjetzeit war in
Russland Eigentum eine Art Fremdwort. So ziemlich alles gehörte dem
Staat. Zunehmend werden Dinge, wie öffentliche Verkehrsmittel,
Wohnungen, Häuser, etc. privatisiert.
Heute ist der Fahrer des
Marschrutkas (das Sammeltaxi) also der Besitzer des Autos, das er
fährt. Er legt Wert darauf, dass sein Auto nicht verdreckt oder
kaputt gemacht wird.
Dass es am Respekt vor
dem Eigentum anderer mangelt ist eine Beobachtung die man öfter
macht, sicherlich nicht nur in Russland.
Eigenartigerweise ist die
Mehrzahl der Verkäuferinnen in Russland ziemlich unfreundlich.
Überwiegend diejenigen, die in einem Laden arbeiten, der nicht ihnen
gehört. Sie erfüllen ihre einzige Pflicht durch ihre Anwesenheit
und pünktliches Erscheinen. Ein freundliches Verhalten würde
vielleicht dem Ladenbesitzer helfen, aber nicht ihrem Einkommen oder
ihren Urlaubstagen. Die Kindergärtnerin von einem meiner beiden
Mädels arbeitet 12 Stunden an fünf Wochentagen. Das ist vertraglich
geregelt und für jeden Deutschen Ausbeutung pur. Wahnsinnige
Arbeitszeiten und schlechte Bezahlungen unterstützen die Einstellung
vieler Angestellter hier.
Ich würde Russland in
dieser Hinsicht als entwicklungsbedürftig beschreiben. Man kann
natürlich fragen, welches Land ist das nicht. In Deutschland
aufgewachsen sind meine Vergleichsmöglichkeiten natürlich
eingeschränkt. Vieles ist hier für mich doch sehr
gewöhnungsbedürftig. Kleine Änderungsvorschläge in meinem Umfeld
fallen kaum auf fruchtbaren Boden. Mir scheint, auch da gibt es eine
gewisse Angst vor Veränderung.
Genug Philosophiert! Rita
und ich haben heute zumindest mal kurz gesprochen. Ich habe sie
gefragt ob alles in Ordnung ist, da sie die letzten Tage mir
gegenüber etwas reserviert war. Darauf hin meinte sie alles wäre in
Ordnung. Nach einigem Nachdenken erklärte sie mir aber, dass sie
sich etwas schwer tut, wenn Leute krank sind und im Bett liegen. Für
sie wäre es normal sich Medikamente zu kaufen und dann arbeiten zu
gehen.
Anschließend erzählte
sie mir von einem Mann, den ich neulich kennen lernen durfte. Sie
sagte er hätte wohl Interesse an ihr sie fände ihn aber überhaupt
nicht toll. Sie sagte das ging ihr immer so. Sie lernt jemanden
kennen, aber hat immer etwas an ihm auszusetzen. Findet sie jemanden
toll, will der nichts von ihr.
Das hörte sich so
vertraut an und hätte genau so gut eine Sechzehnjährige sagen
können.
Man liebt nicht von
Anfang an. Es ist erst mal eine Frage der Harmonie. Man lernt sich zu
lieben während der Beziehung und in der Ehe. So sagte sie.
Mein Problem der
mangelnden Privatsphäre ist etwas komplexer , ich habe sie bisher
nicht darauf angesprochen. Gerade liegt sie wieder neben mir auf der
Couch im Wohnzimmer die eigentlich mein Bett ist, obwohl sie Hunger
hat, Arbeiten muss und schlafen will, wie sie mir gerade noch
berichtet hat. Irgendwie habe ich es noch nicht geschafft, sie auf
das Thema anzusprechen. Vielleicht ist es auch einfach, dass ich
nicht gerne alleine bin. Außerdem hilft sie mir auch beim
Russischlernen und das ist wirklich viel Wert. Vermutlich muss ich
auch einfach lernen damit umzugehen.
Die letzten Tage wurde
ich medizinisch über Skype versorgt, da meine Ärztin aus Freiburg
mich homöopathisch behandelt und ich meine eigene kleine
„Reiseapotheke“ habe. Morgen werde ich wieder arbeiten. Und freue
mich schon wieder auf die beiden Kleinen!