Montag, 29. Oktober 2012

Fortschritt= Das Werk der Unzufriedenheit.“
-Jean-Paul Sartre


Zum Abschied im August habe ich am Flughafen von meiner Mama ein kleines Ledersäckchen bekommen. Darin war ein Zettel und ein Stein. Auf dem Zettel stand, dass sie immer für mich da ist. Heute habe ich dieses Säckchen nach einem Monat wieder in der Hand gehalten. Zum Einen, weil ich Sehnsucht nach zu Hause habe, zum Anderen, weil sie mir damit das größte Geschenk überhaupt gemacht hat. Was kann ein Mensch mehr tun, als für einen Anderen da zu sein, egal was passiert. 8000 Km von zu Hause, kann man sich schon mal alleine fühlen. Aber es beruhigt sehr zu wissen, dass ich einen Menschen habe, der immer für mich da ist.

Warum ich das hier so brauche? Egal wie toll die Menschen sind mit denen ich hier lebe, keiner kann meine Eltern ersetzen! Meine Freunde und Freundinnen aus Deutschland sehe ich heute in mancher Hinsicht auch mit anderen, neuen Augen, jetzt, da ich schon für längere Zeit von ihnen getrennt bin. Da wären meine Mädels, mit denen ich mich stundenlang unterhalten kann. Über Jungs oder die neuste Mode, über die Schule oder den neusten (attraktiven) Mitschüler, über die Liebe und den damit manchmal verbundenen Schmerz. Es gab Tage, an denen wir einfach nur zusammen geweint haben. Telefonate, in denen nur gestritten wurde. Aber trotzdem sind wir für einander eingestanden, wenn es drauf an kam. Das alles ist nichts Neues. Warum ich es dennoch hier formuliere, zeigt wie wichtig mir genau diese Menschen sind.
Es gibt auch Jungs/Männer die echte Freunde sind. Manchmal ersparen sie einem das „Rumgezicke“ oder das unnötige Ausdiskutieren. Sie sind die Schulter zum Anlehnen, oder brauchen hin und wieder die weibliche Intuition, die ihnen hilft zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Manchmal war ich nicht dankbar genug, für die vielen tollen Menschen um mich herum. Aus der Distanz lerne ich es zu schätzen!
Die meisten dieser Menschen habe ich in den letzten neun Jahren kennen gelernt. Viele davon in der Schule..

Wenn ich an die vielen, durchaus nicht immer erfreulichen, Schuljahre im Kepler zurückdenke, kann ich kaum glauben, dass ich heute manchmal die Schule wirklich vermisse. Mit dem Ende der Schulzeit ist ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende, eine Etappe die in ihrer Kontinuität Halt gab. Und natürlich fehlen mir heute die viele Kontakte und die wunderbaren Pausengespräche oder Zettelchen im Unterricht.

An den Tag meiner Einschulung erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Wir wurden alle namentlich auf die Bühne gerufen, Klasse für Klasse. Die Bühne war ohne Treppe, aber etwas erhöht. Einige fielen bei einem gekonnten Sprung nach oben hin, andere mussten sich auf Grund ihrer Größe helfen lassen und ich blamierte mich erst, als ich oben war. Das behalte ich jetzt für mich!
In unserer Klasse angekommen stellte ich fest, dass ich den gleichen Schulranzen wie eine Mitschülerin hatte und das machte sie sofort sympathisch!
Wie schnell die Zeit vergeht hat durchaus etwas Angsteinflößendes. Gerade noch in der 5. Klasse und schon im fernen Sibirien Da ich noch nicht genau weiß, wie es ausbildungsmäßig weitergehen wird, freue ich mich, wenn ich dafür eine Perspektive habe, auf die ich hin arbeiten kann. Wenn ich sicher weiß, wie es weiter geht.

Zur Sowjetzeit war in Russland Eigentum eine Art Fremdwort. So ziemlich alles gehörte dem Staat. Zunehmend werden Dinge, wie öffentliche Verkehrsmittel, Wohnungen, Häuser, etc. privatisiert.
Heute ist der Fahrer des Marschrutkas (das Sammeltaxi) also der Besitzer des Autos, das er fährt. Er legt Wert darauf, dass sein Auto nicht verdreckt oder kaputt gemacht wird.
Dass es am Respekt vor dem Eigentum anderer mangelt ist eine Beobachtung die man öfter macht, sicherlich nicht nur in Russland.

Eigenartigerweise ist die Mehrzahl der Verkäuferinnen in Russland ziemlich unfreundlich. Überwiegend diejenigen, die in einem Laden arbeiten, der nicht ihnen gehört. Sie erfüllen ihre einzige Pflicht durch ihre Anwesenheit und pünktliches Erscheinen. Ein freundliches Verhalten würde vielleicht dem Ladenbesitzer helfen, aber nicht ihrem Einkommen oder ihren Urlaubstagen. Die Kindergärtnerin von einem meiner beiden Mädels arbeitet 12 Stunden an fünf Wochentagen. Das ist vertraglich geregelt und für jeden Deutschen Ausbeutung pur. Wahnsinnige Arbeitszeiten und schlechte Bezahlungen unterstützen die Einstellung vieler Angestellter hier.

Ich würde Russland in dieser Hinsicht als entwicklungsbedürftig beschreiben. Man kann natürlich fragen, welches Land ist das nicht. In Deutschland aufgewachsen sind meine Vergleichsmöglichkeiten natürlich eingeschränkt. Vieles ist hier für mich doch sehr gewöhnungsbedürftig. Kleine Änderungsvorschläge in meinem Umfeld fallen kaum auf fruchtbaren Boden. Mir scheint, auch da gibt es eine gewisse Angst vor Veränderung.

Genug Philosophiert! Rita und ich haben heute zumindest mal kurz gesprochen. Ich habe sie gefragt ob alles in Ordnung ist, da sie die letzten Tage mir gegenüber etwas reserviert war. Darauf hin meinte sie alles wäre in Ordnung. Nach einigem Nachdenken erklärte sie mir aber, dass sie sich etwas schwer tut, wenn Leute krank sind und im Bett liegen. Für sie wäre es normal sich Medikamente zu kaufen und dann arbeiten zu gehen.

Anschließend erzählte sie mir von einem Mann, den ich neulich kennen lernen durfte. Sie sagte er hätte wohl Interesse an ihr sie fände ihn aber überhaupt nicht toll. Sie sagte das ging ihr immer so. Sie lernt jemanden kennen, aber hat immer etwas an ihm auszusetzen. Findet sie jemanden toll, will der nichts von ihr.
Das hörte sich so vertraut an und hätte genau so gut eine Sechzehnjährige sagen können.
Man liebt nicht von Anfang an. Es ist erst mal eine Frage der Harmonie. Man lernt sich zu lieben während der Beziehung und in der Ehe. So sagte sie.

Mein Problem der mangelnden Privatsphäre ist etwas komplexer , ich habe sie bisher nicht darauf angesprochen. Gerade liegt sie wieder neben mir auf der Couch im Wohnzimmer die eigentlich mein Bett ist, obwohl sie Hunger hat, Arbeiten muss und schlafen will, wie sie mir gerade noch berichtet hat. Irgendwie habe ich es noch nicht geschafft, sie auf das Thema anzusprechen. Vielleicht ist es auch einfach, dass ich nicht gerne alleine bin. Außerdem hilft sie mir auch beim Russischlernen und das ist wirklich viel Wert. Vermutlich muss ich auch einfach lernen damit umzugehen.

Die letzten Tage wurde ich medizinisch über Skype versorgt, da meine Ärztin aus Freiburg mich homöopathisch behandelt und ich meine eigene kleine „Reiseapotheke“ habe. Morgen werde ich wieder arbeiten. Und freue mich schon wieder auf die beiden Kleinen!




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen